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HIV Therapie: WIR GEMEINSAM Expert:innendiskussion | GileadPro | GileadPro

(K)ein Ende in Sicht bei HIV?

Was es braucht, um die UNAIDS-Ziele doch noch zu erreichen.

Die Ziele des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) sehen bis 2030 vor, dass 95 % der Menschen mit HIV ihre Diagnose kennen, 95 % von Ihnen sollen eine antiretrovirale Therapie erhalten und von diesen wiederum 95 % eine Viruslast unter der Nachweisgrenze vorweisen. Trotz aller Bemühungen hinkt Deutschland bei der Umsetzung dieser Ziele hinterher: die Diagnoserate von 95 % lässt sich bis 2030 nicht erreichen.1,2 Und das, obwohl laut UNAIDS grundsätzlich alle Werkzeuge zur Beendigung der HIV-Epidemie verfügbar sind.1 Woran liegt es dann? Dieser Frage auf den Grund zu gehen, war das Ziel einer Podiumsdiskussion, die im Rahmen der 19. Münchner AIDS- und Infektiologie-Tage am 23. März 2024 stattfand.

Moderator Fero Andersen mit allen Podiumsteilnehmenden: Dr. med. Axel Baumgarten (Facharzt für Allgemeinmedizin, Infektiologie; ZfI Berlin), Martin Thiele (Geschäftsführer, Referat Primärprävention MSM, Referat HIV-bezogene Diskriminierung, AIDS-Hilfe Halle / Sachsen-Anhalt Süd e.V), Dr. Carl Knud Schewe (Facharzt für Innere Medizin ICH Hamburg-Stendal, Hamburg), Jens Ahrens (Stellvertretender Geschäftsführer, Fachliche Leitung für Prävention & Referent für Gesundheitsförderung, Berliner Aids-Hilfe e.V.) und Prof. Dr. Paula Maria Bögel (Professorin für Transformationsmanagement in ländlichen Räumen, Universität Vechta) (von links nach rechts).

„Die HIV-Therapie ist eine Erfolgsstory: Mit dem heute verfügbaren breiten Instrumentarium an modernen antiviralen Therapien können Menschen mit HIV lange und gut leben – aus einer tödlichen wurde eine chronische Erkrankung“, stellte Dr. Axel Baumgarten klar. Dr. Carl Knud Schewe ergänzte: „Möglich wurde das durch das große Engagement und die enge Zusammenarbeit von Community, Aidshilfen, Ärztinnen und Ärzten sowie Pharmaunternehmen.“ Er warnte aber auch: „Doch heute herrscht zum Teil das Gefühl vor, dass schon alles gut läuft. Deshalb sehe ich die Gefahr, Erreichtes wieder zu riskieren.“ Doch was genau sind die nötigen Stellschrauben, an denen in Deutschland noch gedreht werden muss, um bestehende Erfolge nicht zu riskieren, sondern HIV endgültig in die Geschichtsbücher zu verbannen?

Interview mit Prof. Dr. Paula Maria Bögel, Professorin für Transformationsmanagement in ländlichen Räumen: Was haben Klima- und UNAIDS-Ziele gemeinsam?

Was sind die zentralen Anliegen der Transformationsforschung?
Bögel: Die Transformationsforschung ist eine sehr junge Forschungsdisziplin, die angetreten ist, um einen interdisziplinären, ganzheitlichen und systemischen Blick auf eine große Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu werfen – beispielsweise auf die Energiewende, die Verkehrswende und natürlich auch die Gesundheitspolitik. Die Transformationsforschung wird manchmal auch definiert als „New ways of doing, thinking and organising“.

Wie war es für Sie als Transformationswissenschaftlerin, einen Blick in den HIV-Bereich zu werfen?
Bögel: Transformationsforschung ist darauf ausgerichtet, Neues zu entdecken. Deswegen war ich zunächst neugierig und dann positiv überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten es zwischen beiden Bereichen gibt und ich habe mich gefreut, in einen derart dynamischen Bereich einzutauchen: Im HIV-Bereich ist in den letzten Jahrzehnten unheimlich viel passiert – eine vergleichbare Dynamik würde ich mir auch im Bereich der Energiewende wünschen. Und noch ein Aspekt: Ich forsche viel zu Gemeinschaft und Community und wie man Menschen für ein Thema zusammenbringen kann. Die MAIT waren für mich diesbezüglich sehr beeindruckend – diese unheimlich aktive Community, auf die ich im Nachhaltigkeitsbereich fast ein bisschen neidisch bin.

Wie passt das zusammen mit der Frage, was Deutschland noch braucht, um die HIV-Epidemie zu beenden?
Bögel: Der Grundgedanke ist: Wie kann man in ein etabliertes System Veränderung bringen? Dieser Gedanke stellt sich immer – auch wenn der HIV-Bereich in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr dynamisch war. Irgendwann kommt der Punkt, an dem sich bestimmte Dinge etabliert haben. Die Transformationsforschung überlegt dann „Wie kann man das wieder aufbrechen? Wie kommt man dann weiter?“

Deutschland wird eines der UNAIDS-Ziele – eine HIV-Diagnoserate von mindestens 95 % bis 2030 wahrscheinlich nicht erreichen. Gibt es in der Transformationsforschung Ansätze, das zu verbessern?
Bögel: Wenn man an Gemeinsamkeiten denkt, stehen wir hier vor dem gleichen Problem wie bei den Klimazielen – wobei wir beim Klima vom 1,5 Grad-Ziel noch weiter entfernt sind als bei HIV von den UNAIDS-Zielen. Es lassen sich insbesondere drei gemeinsame Herausforderungen, aber auch Antworten herausarbeiten: Die erste Herausforderung ist die Betroffenheit, also wie vermittelt man, dass es sich um ein zentrales Problem handelt. Dabei geht es nicht darum, Ängste zu schüren und zu sagen, es könnte auch dich treffen – weder beim Klima noch bei HIV –, sondern darum zu fragen „Warum ist das für uns als Menschheit wichtig? Warum sollte mich das interessieren?“

Was ist die zweite Herausforderung?
Bögel: Sie lautet: Wer übernimmt die Verantwortung? Auch das ist in beiden Bereichen ähnlich: Sehr häufig ist das „Trittbrettfahrer-Syndrom“, bei dem darauf gehofft wird, dass die anderen das Problem lösen und sich darum kümmern. Das kann man u. a. dadurch verändern, indem man neue Allianzen schafft. Dazu gilt es zu prüfen, wo gibt es gemeinsame Interessen, wie können wir uns gut zusammenschließen und welche Themen haben wir bisher gar gemeinsam gedacht?

Und was ist die dritte Herausforderung?
Bögel: Sie lautet: Wie kann man etablierte Pfade verlassen? Also wie kann man mutiger darin werden zu experimentieren und Regeln zu durchbrechen. So hatten wir im Nachhaltigkeitsbereich bis vor einigen Jahren immer das Ziel mit der ganz großen Strategie oder Vision zu starten. Aber nichts erschlägt Ideen mehr als zu sagen, da muss die Idee für die nächsten 50 Jahre her. Heute sehen wir dagegen häufig Menschen, die insbesondere im lokalen Raum aktiv werden – sowohl was HIV als auch Nachhaltigkeit betrifft.

HIV muss präsent(-er) sein – das ganze Jahr über

Martin Thiele hob als zentralen Punkt hervor: „Es ist wichtig, dass HIV nicht nur einmal im Jahr zum Welt-AIDS-Tag in allen Köpfen stattfindet, sondern im Rahmen der normalen Gesundheitsvorsorge.“ Zwar setzte sich Rita Süßmuth bereits in den 80er Jahren durch ihr Engagement für eine menschliche AIDS-Politik ein und brachte HIV damit auf die politische sowie gesellschaftliche Agenda,2 dennoch erhält das Thema heute im Alltag der meisten Menschen nach wie vor nur wenig Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt deshalb, da ein Großteil der Bevölkerung aufgrund effektiver Prävention und hoher Diagnoserate selten in Kontakt mit dem Thema HIV kommt. Es gilt daher weiterhin Awareness zu schaffen, in der Allgemeinbevölkerung sowie bei Infektiologie-fernen Ärztinnen und Ärzten. „Das Wie ist die große Krux dabei, denn bei der Frage, wie das gelingen kann, sind wir aus meiner Sicht noch in der Erkenntnissuche“, so Thiele.

Gemeinsam vom Denken ins Tun kommen

Auf Seiten der Patient:innen ist es fundamental wichtig, alle relevanten Zielgruppen zu erreichen. Allerdings werden viele Personen, etwa aufgrund ihres kulturellen oder religiösen Hintergrunds, heutzutage nicht ausreichend angesprochen. Jens Ahrens stellte deswegen klar: „Um diese Menschen zu finden, eine Diagnose stellen und sie bestmöglich behandeln zu können, braucht es neue Allianzen.“ Als Beispiel nannte Ahrens, dass Kirchen oder muslimische Gemeinden als Partner:innen begriffen werden könnten. So könnten neue Netzwerke geschaffen werden.

HIV und AIDS in den Praxen

Aber auch längst nicht alle Ärztinnen und Ärzte haben häufige Berührungspunkte mit Menschen mit HIV. Dabei ist es wichtig, möglichst alle Behandler:innen mitzunehmen und HIV in der allgemeinen Gesundheitsvorsorge zu verankern. Dr. Baumgarten erläuterte: „Was man dort schaffen muss, wäre, den Begriff ‚sexuelle Gesundheit’ zu implementieren – und dies auch entsprechend als Leistung im Leistungskatalog zu spiegeln.“

Gleichzeitig forderten die Expert:innen Unterstützung vor allem für Ärztinnen und Ärzte, denen die Infektiologie eher fremd ist. Dr. Schewe schlug vor, bereits bestehende Systeme zu nutzen. „Über einen Ausbau der Praxisverwaltungssysteme sollte jede Ärztin/jeder Arzt bei Symptomen oder Laborparametern, die mit HIV zusammenhängen könnten, einen entsprechenden Hinweis erhalten.“ Auf diesem Wege würden Ärztinnen und Ärzte öfter auf HIV hingewiesen – und würden so möglicherweise auch öfter Menschen auf HIV testen.

Neue Wege gehen, um noch nicht Erreichtes zu erreichen

Nicht zuletzt hat HIV aber weiterhin eine gesellschaftspolitische Dimension. Thiele machte daher deutlich: „Bei all dem sehr wichtigen Engagement auf individueller Ebene dürfen wir nicht vergessen, dass dieses auch irgendwo seine Grenzen hat. Gesundheit allgemein hängt immer am seidenen Faden der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Deshalb muss auch die Politik weiterhin Verantwortung übernehmen, um die (strukturellen) Bedingungen für die HIV-Prävention sowie für Menschen, die mit HIV leben, zu verbessern.“ Wichtig sei es vor allem, Stigmatisierung und Diskriminierung entgegenzuwirken und diese abzubauen. Dr. Baumgarten forderte daher eindringlich: „Wenn es um Ziele im HIV-Bereich geht, darf es nicht bei 95-95-95 bleiben. Dazu gehört als vierte Zahl die 0 – für 0 Stigma und Diskriminierung.“

Wie bestehende Ideen weiterentwickelt und ausgebaut werden können, haben wir uns bei Gilead mit der Initiative HIVISION100 angesehen.

Wir möchten dazu beitragen, die 95-95-95-UNAIDS-Ziele so schnell wie möglich zu erreichen – und sie vielleicht sogar zu übertreffen. Dafür bringen wir die HIVISION100 Expert:innen aus Medizin, Apotheken, Krankenkassen, Beratungseinrichtungen und der HIV-Community zusammen, um neue und innovative Lösungsansätze zur Überwindung noch bestehender Hürden in der Diagnose zu identifizieren, weiterzuentwickeln oder neu zu denken.

Weiterführende Informationen zur HIVISION finden Sie im Ergebnisreport 2023.

Referenzen
  • The path that ends AIDS: UNAIDS Global AIDS Update 2023. Geneva: Joint United Nations Programme on HIV/AIDS; 2023. Abgerufen am: 19.04.2024.
  • 2025 Aids Targets, https://aidstargets2025.unaids.org. Abgerufen am: 15.04.2024.